Dienstag, 28. Mai 2013

Hello Europe! Kitwe is calling ...

Diesen Satz werden wir vermutlich so nie im Fernsehen hören, 
aber auch wenn Kitwe weder die Hauptstadt noch in Europa gelegen ist, hat mich vor etwa einem Monat der Ruf einer neuen Stadt, eines neuen Projektes und einer neuen Gastfamilie meine Koffer packen lassen. Auf dem Weg in die vorerst letzte große Etappe meines Sambiaaufenthalts.
Ja ja, man glaubt es kaum; jetzt bin ich doch schon über 10 Monate hier! 
Dass auch ein Jahr irgendwann zu Ende gehen muss, 
wird mir eigentlich erst jetzt richtig klar, seit es seine Vorboten voraus schickt: Die Planungen und Vorbereitungen für die Anreise unserer  Nachfolger ist in vollem Gange, die Wochen bis zur Abreise kann man mittlerweile an den eigenen Fingern abzählen und mein Wochenprogramm ist kompakter aufgestelltden je, 
jetzt kann ich nicht mehr sagen: "Irgendwann will ich dann auch noch mal ..." oder "Kein' Stress, wir haben ja Zeit!".
Unsere Zeit neigt sich dem Ende zu, ich bin eingebundener den je, freue mich, die Heimat endlich wieder zu sehen, aber ... so ganz bin ich doch noch nicht bereit zu gehen. Ich habe noch etwas weniger als 2 Monate, aber das wird auch Ende Juli vermutlich nicht anders aussehen.
Denn nach fast einem Jahr ist etwas passiert, was ich nie für möglich gehalten habe: ich habe zwei Herzen, zwei "zu Hause", 
bin Teil von "zwei Welten" so unterschiedlich sie auch sein mögen, denn als Gast fühle ich mich nur noch selten. 
Ich aufgenommen worden und habe gelernt es mit ganzem Herzen anzunehmen und mich darauf einzulassen. 
Ich kann ein sehr melancholischer Mensch sein und vermutlich werden jetzt einige von euch denken: "Krieg dich ein, du hast doch noch knapp 2 Monate!", aber 2 Monate sind schneller um als einem lieb ist ... und ihr kriegt mich schneller wieder zurück als EUCH vielleicht lieb ist ;)

Tja, und damit wären wir auch schon beim nächsten Thema: 
Ich bin jetzt in Kitwe!
Kitwe ist die mittlerweile zweitgrößte Stadt des Landes nach der Hauptstadt Lusaka, denn sie hat Ndola mittlerweile überholt. Kitwe ist mit Chingola und Chilabombwe die am meisten von der Minenindustrie geprägte Region im Copperbelt. Im Gegensatz zu Ndola, das manchmal auch "die Geisterstadt" genannt wird, 
weil hier der Kupferabbau und damit die Kupferindustrie eher der Vergangenheit angehört, spürt man hier noch ganz deutlich den Puls der Minen; die meisten Einwohner arbeiten in der Minenindustrie (in der Mine selbst oder eben im Verwaltungs- und Managementbereich), man sieht die großen Sand- und Geröllberge als landschaftsprägende Merkmale überall und sie lassen nur vermuten, wie tief die Mine selbst sich vermutlich schon in die Erde unter unseren Füßen erstreckt. Ndola ist ruhig,
 Kitwe geschäftig. Ndola ist manchmal ein bisschen verschlafen, Kitwe "zweite Hauptstadt" Sambias. Kitwe ist auch die Stadt, 
in der man den Einfluss ausländischer Firmen und anderer Staaten deutlicher spürt: Viele der Minen gehören ausländischen, 
meistens chinesischen oder australischen Investoren und die bringen auch ihre Familien und Technologien mit.

Die Gastfamilie, die mich aufgenommen hat, ist super. 
Sie besteht aus meiner Gastmutter Aunty Lucy, meiner älteren Gastschwester Sharon und meiner jüngeren Monde. Wir sind also ein reiner Frauenhaushalt. Besonders mit meinen Gastschwestern verstehe ich mich extrem gut und bereits nach der ersten Woche war ich vollwertiges Mitglied der Familie ... mit allen Rechten UND Pflichten. Auch wenn ich vorher schon einmal in einer Gastfamilie gelebt habe, habe ich in dieser Familie noch etwas ganz neues kennengelernt: tägliche Bibelstunden. Abends, 
wenn wir nach dem Essen die Küche aufgeräumt haben und alles bereit ist für den neuen Tag, kommen wir als Familie im Wohnzimmer zusammen, beten gemeinsam und sprechen über einen Bibelabschnitt (sie haben zu Ostern mit Genesis begonnen und jetzt sind wir bei Exodus angekommen). Dieses intensive Bibellesen zeigt mir, dass es EINIGE Stellen in der Bibel gibt, die ich bis jetzt nie gelesen habe und das ist interessant. Allerdings haben die Sambier immer einen Vorteil: Sie sind extrem bibelfest, können exakt zitieren, mit Kapitel- und Versangabe und wortwörtlich. Sie sind daran gewöhnt, die Bibel auf Englisch zu lesen und zu besprechen. Ich nicht! Also versuche ich, die Bibelstellen, auf die ich mich beziehe sinngemäß in Englisch zu übersetzten und der Rest der Familie versucht dann zu erraten, welche ich wohl gemeint habe :)  
Gemeinsam mit meiner neuen Einsatzstelle lehrt mich meine Familie alles, was eine sambische Hausfrau und Mutter können muss (putzen, kochen, Baby großziehen, waschen,...) und mittlerweile bescheinigt man mir, dass man mich jetzt schon verheiraten könnte ... wenn mein Nshima noch ein bisschen besser wird, mein Bemba besser wäre und naja, ganz sambisch werde ich mich nie verhalten und sein können.
Denn Eltern sind absolute Autoritäten, besonders im Bezug auf Mädchen. Vor dem Hintergrund, die Mädchen (be-)schützen zu wollen, müssen die Frauen der Familie um Erlaubnis fragen, wenn sie Freunde treffen, ausgehen oder verreisen wollen. Sooft einem das auch schmeicheln und Sicherheit vermitteln mag, als Frau aus einem europäischen System muss man sich daran erst versuchen zu gewöhnen und wird es vermutlich nie ganz tun können, denn der oberste Grundsatz der Europäer scheint die"Freiheit jedes Einzelnen" zu sein, der der Sambier/Afrikaner eher der "starke, Sicherheit bietende Zusammenhalt der Familie", was in erster Linie geschichtlich bedingt ist.
Ja, und dann gibt es da meine neue Einsatzstelle: "St. Martin's Home" ein von den Sisters of St.John the Baptist betriebenes Orphanage (Waisen-/Kinderheim). Hier arbeite ich montags bis freitags (sporadisch auch am Wochenende) von 7:30Uhr bis 17:15Uhr, wasche Babys, wickele sie, ziehe sie an/um, füttere sie, lerne mit ihnen laufen, unterhalte sie und spiele mit ihnen, putze, fege, wasche Kleidung, beziehe Betten, tröste, schlichte Streit, versorge alle lebensbedrohlichen Verwundungen (Kratzer, Beulen, ...), ordne Schränke mit Kleidung (um), mache Hausaufgaben mit den Älteren nach der Schule, schaukele, rutsche, spiele ihre Spiele mit oder bringe ihnen welche, die ich kenne bei, ... ja, ich denke ich bin gut beschäftigt. Abends gehe ich oft sehr früh ins Bett und schlafe wie ein Stein, denn wie hart und anstrengend der Tag wirklich war, merkt man nicht während der Arbeit, da hat man zu viel Freude, Adrenalin und Aufgaben, sondern erst am Ende des Tages. 
Dieses dritte Projekt ist extrem interessant für mich, weil ich in den vorherigen in erster Linie geistig gefordert war. Hier liegt der Schwerpunkt auf der körperlichen Leistung und ich lerne sehr viele praktisch neue Dinge während ich vorher vor allem prägende neue Denkanstöße und tieferes Verständnis der Kultur, des Landes und der Bevölkerung mitnehmen konnte. Das kommt mir jetzt zugute, denn ich konnte schneller einsteigen, mich schneller mit meinen Kolleginnen verstehen.
Im Orphanage ist auch der persönliche Kontakt zu den Kindern, den Schwestern und den "Aunties" (so nennen wir/die Kinder die Frauen, die sich um alles/den Haushalt kümmern) sehr viel intensiver, ich muss nicht mehr den Spagat zwischen Lehrer und Freund zur gleichen Zeit schaffen. Hier bin ich Freund, hier habe ich Zeit mich bei der Arbeit zu unterhalten und einem Freund erzählt man gerne. Einem Freund begegnet man auf Augenhöhe, man muss sich keine Gedanken um höfliches Getue machen oder ein bestimmtes Bild aufrechterhalten. Man muss sich nicht verstellen und dem Anderen etwas vorspielen, man respektiert den Gegenüber und nimmt ihn auf in einen Teil der eigenen Welt. An dieser Stelle lernt man zu verstehen, warum Traditionen und Werte wie aussehen, man bekommt Informationen aus erster Hand, versteht Folgen, die man sonst ewig mysteriös geblieben wären. Ich bekomme ein Gefühl von einer deutschen Freundin in Ndola, die in Sambia arbeitet, bestätigt: Wir Volontäre, die wir Vorort, in Familien, mit Schwestern/Fathers, mit Einheimischen leben, die wir mit ihnen arbeiten, essen, bei ihnen schlafen, mit ihnen kochen, wohnen schlicht: leben, wir sind die, die Berichte über Sambia mit Leben füllen, sie tiefer verstehen, zwischen den Zeilen lesen können. Wir wissen nicht alles, sind keine Sambia-Experten, aber wir haben gelernt Klischees und Tatsachenberichte auseinanderzuhalten, wir können kritisch hinterfragen und erklären, denn wir haben auch gelernt an manchen Stellen wie Sambier zu denken. Es fällt auf, dass beide Kulturen Dinge aus den selben Gründen tun und manchmal sogar das gleiche Ziel verfolgen, die Resultate und der Weg dorthin aber völlig unterschiedlich aussieht und ich könnte nicht sagen, welcher besser oder schlechter ist.
Tja, Etappen gehen zu Ende, aber die Reise fängt jetzt erst an, denn eigentlich sind wir immer noch dabei anzukommen. Wir sind schon lange "überlebensfähig", aber jetzt verwurzeln wir gerade und das ist es, was das Zurückreisen momentan so unvorstellbar so schmerzhaft erscheinen lässt ...

So, lange Rede, kurzer Sinn: Mir geht es gut, es macht mir immer noch Spaß, ich freue mich langsam auf zu Hause, ich werde dieses Jahr NIIIIIE bereuen und ... die Zeit rennt!

Liebe Grüße aus dem verwirrenderweise immer noch sonnig warmen Süden
(eigentlich hätte die kalte Jahreszeit längst beginnen sollen)

Shalenipo
Teresa

P.S.: Die Bilder muss ich leider nachreichen, nur eines habe ich jetzt schon hier ... für den ersten Eindruck :)

Die Älteren: Warten auf den Besuch ...
Die Jüngeren: "Schaun' wer ma was da kommt" ...
Kurze Zwischenmeldung wieder einmal:

Ich habe eine neue Seite in der rechten Spalte mit dem Titel

"Heute: Feste"

angelegt.

Schaut durch, wenn's euch interessiert ...

Shalenipo
Teresa